Eine Patientin mit einer Angsterkrankung berichtet von ihren persönlichen Erfahrungen der letzten 1,5 Jahre:
Wie lange waren Sie in Therapie, als die Corona-Pandemie begann?
Circa 14 Monate.
Wie hat sich die Pandemie auf Ihre Therapie und Ihre Therapiefortschritte ausgewirkt?
In Bezug auf meine Angsterkrankung hat es mir erschwert, mich mit Situationen zu konfrontieren, die ich ohnehin gerne umgangen bin (Anmerkung der Therapeutin: Die Konfrontation mit gefürchteten Situationen ist ein wichtiger Baustein bei der Behandlung von Ängsten). Für meine Neigung zu Vermeidungsverhalten war die Pandemie wie Brandbeschleuniger auf ein Feuer, das ich gerade angefangen hatte in den Griff zu bekommen: Ich hatte endlich einen wirklich legitimen Grund, nicht Bus zu fahren und Menschenansammlungen zu aus dem Weg zu gehen. Das hatte bald den Effekt, dass ich bei kleinen Belastungen bereits ein Gefühl von starker Angst in mir hatte, auch in Augenblicken, in denen sie mir schon länger nicht mehr begegnet war.
Auf der anderen Seite waren durch die Pandemie viele Dinge eingetreten, vor deren Realität ich mich gefürchtet hatte: Verlust der Jobs, Geldprobleme, noch größere Schwierigkeiten, mein Studium fokussiert zu beenden, soziale Isolation wegen des Lockdowns. Diese ersten Wochen, in denen die allgemeine Lage unübersichtlich und bedrohlich war, so viele ungewollte Veränderungen eintraten und unklar war, in welche Richtung sich Corona entwickeln würde, waren eine enorme Belastung – von der ich gelernt habe, dass ich ihr gewachsen bin. Mittelfristig haben diese Woche mein Denken durchaus positiv beeinflusst, weil ich Katastrophen-Szenarien mit dieser Erfahrung beantworten konnte.
Was war für Sie am Lock-Down und der Gesamtsituation besonders schwierig?
Die Unmöglichkeit irgendeiner Planung. Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 hat mich dahingehend enorm beansprucht, wobei ich es erstaunlich fand, dass ich über diesem Gefühl im Verlauf der Pandemie beinah resigniert bin: Irgendwann hat es nur noch genervt. Als der Zustand neu eingetreten war, hat das „Fahren auf Sicht“ in mir das Gefühl von umfassendem Kontrollverlust hervorgerufen.
Der Blick in andere Länder hat gezeigt, dass eine nochmalige Verschärfung im Bereich des möglichen liegt, die Vorgehensweise innerhalb Deutschlands, das auch sehr kurzfristig mit neuen Regeln zu rechnen sein muss. Ich habe in dieser Zeit viele Ressourcen allein darin investiert, mich stets an Orten aufzuhalten, von denen ich wusste, dass ich an ihnen bleiben kann, sollte man die Wohnung nicht mehr verlassen dürfen. Mit dieser Instabilität umzugehen, fand ich sehr schwierig.
Wir haben unsere Therapie während des Lock-Downs zeitweise auf Videotherapie umgestellt. Wie haben Sie dies erlebt?
In dieser Ausnahmesituation hat mir vor allem das Gefühl geholfen, um eine Sitzung bitten zu können, wenn ich sie gebraucht habe. Vor dem Hintergrund der Unsicherheit darüber, inwieweit Mobilität möglich sein würde, hat mich das sehr erleichtert, diesbezüglich hat mir die Videotherapie sehr geholfen. Die Sitzungen selbst habe ich als weniger eigendynamisch wahrgenommen.
Mir ist der Rollenwechsel zur Patientin hin schwerer gefallen und mir ist klar geworden, wie wichtig mir Raum und Raumwechsel für die Therapie waren. Es war gut, das Angebot in Anspruch nehmen zu können, auch wenn meine privaten Räume sich hierfür nicht nach dem passenden Setting angefühlt haben, zumal dadurch, dass ich nicht zuverlässig allein in der Wohnung gewesen bin, ich mich nicht in dem Maße privat gefühlt habe, wie ich es für eine entspannte und erfolgreiche Sitzung brauche.
Gab es Erfahrungen oder Strategien aus der Therapie, die Sie während der Corona-Pandemie als hilfreich empfunden haben?
In Momenten großer Überforderung bewusst zu atmen und mir klar zu machen, dass ich trotz allem bestehe, war sehr wichtig für mich. Das Vertrauen darin, dass sich starke negative Gefühle abflauen werden und mein klarer Kopf dahinter wieder auftauchen wird, der mir dabei helfen kann, in die Situation hineinzuwachsen.
Gleichzeitig habe ich probiert, Gefühle wie Angst, Stress oder Traurigkeit nicht zu relativieren oder einzuordnen, sondern sie anzunehmen, um mich nicht unter den Druck pragmatischer Fröhlichkeit zu setzen, weil es mir doch im Vergleich zu anderen noch ganz gut ging.
Was denken Sie, wie die Pandemie Ihr Denken und Ihre Sicht Ihr Leben verändert hat?
Die Pandemie hat mich wirtschaftlich vor eine schwierige Situation gestellt, außerdem hat mit der Austausch mit geschätzten Kolleg:innen gefehlt. Andererseits habe ich auch große Erleichterung gespürt, mehr Möglichkeiten zu haben, meine Tage selbst zu gestalten, weil sie nicht mehr von der Koordination und Durchführung beruflicher Termine geprägt waren.
Damit einher ging eine angenehme Freiheit im Pflegen sozialer Kontakte: Ich musste die Verabredung nicht unbedingt wahrnehmen, weil ich für ein privates Treffen mit einer bestimmten Person erst in einigen Wochen wieder Zeit haben würde – ich konnte endlich entspannt absagen und das Treffen nachholen, wenn mir danach war. Im Rahmen der Pandemie war das Verständnis für Tagesform und die allgemeine Stimmung angenehm groß.
Das möchte ich mir gerne weiterhin erhalten: Verabredungen nicht um jeden Preis und aus Pflichtgefühl heraus stattfinden lassen, sondern offen kommunizieren, wenn mir Lust oder Kraft fehlen. Außerdem ist mir das Ausmaß deutlich geworden, in dem mir ein zu voller Terminplan schlecht bekommt. Seitdem das alltägliche Leben im Sommer 2021 wieder zurückkehrt, halte ich mir Wochen- und Wochendtage bewusst komplett frei, um sicher zu stellen, dass ich ausreichend oft Luft hole.